Die Kunst des Nichtstuns: Wie man das Sich-Treiben-Lassen in den Alltag mitnehmen kann.
Wenn früher mein Urlaub anstand, dachte ich oft, ich müsste die freie Zeit „nützlich“ verbringen. Liegengebliebenes abschließen, überfällige Besuche nachholen, oder die vor Ewigkeiten gekauften Bücher lesen. Nach dem Urlaub fühlte ich mich manchmal gar nicht wirklich erholt und hatte die Sehnsucht, gleich wieder in den Urlaub zurück zu kehren. Kennen Sie das auch?
Irgendwann erkannte ich, dass ich mir in meiner freien Zeit nur hier und da erlaubt hatte, einfach mal wirklich gar nichts zu tun.
Das Loslassen der Selbstoptimierung
Wir sind von der Idee geprägt, Nichtstun sei eine Verschwendung wertvoller Lebenszeit. Dabei ist Nichts-Tun eine wichtige und wertvolle Fähigkeit. Es ist ein Zeichen für innere Balance, sich beim Nichtstun auszuhalten, ohne sich innerlich zu kritisieren oder sich selbst ständig anzutreiben.
Der Druck, produktiv zu sein, kann hartnäckig sein. Früher sah ich den Urlaub zum Beispiel auch gerne mal als Gelegenheit zur Selbstoptimierung. Mehr Bewegung, eine Sprache dazu lernen…der Gedanke, mich ständig weiterentwickeln zu müssen, begleitete mich lange Zeit auch im Urlaub. Dann passierte es nicht selten, dass die herbei gesehnte, freie Zeit in einem Abarbeiten von privaten To-Do-Listen endete und die echte Erholung doch wieder zu kurz kam.
Der Wert des Nichtstuns: Wu Wei
Es ist eine alte Weisheit aus dem Taoismus: WU-WEI, der Zustand innerer Stille, das Nicht-Eingreifen, sondern das Vertrauen, dass zu gegebener Zeit das Richtige geschieht, bringt das Innerste mit dem Äußeren in Einklang.
Das wirkliche Nichts-Tun bedeutet nicht, den ganzen Tag in völliger Regungslosigkeit auf dem Liegestuhl zu versacken. Es bedeutet, immer wieder am Tag auf die inneren Impulse zu hören und dann ohne konkretes Ziel zu handeln. Oder eben nicht.
Das kann im Urlaub bedeuten, keine Verabredungen vorzuplanen, sondern Freunde ganz spontan zu fragen, ob sie sich jetzt grade mit mir treffen mögen. Wenn es klappt, sind die Begegnungen viel schöner und freudiger, als mir langer Vorplanung und gezwungener Termineinhaltung.
Es kann die Erlaubnis sein, mich in einem Buchladen tief in ein Thema zu vergraben, weil es mich jetzt grade interessiert, ohne den inneren Vorwurf: „Aber du hast ja die drei Bücher noch nicht gelesen, die noch auf dem Nachttisch liegen!“
Oder: Auch wenn ich heute das spannende Event verpasse, jetzt ist mir grade viel mehr danach, hier zu sitzen und den Fluss und die vielen Tiere darin zu beobachten.
Sich-Treiben-Lassen heisst für mich, geschenkte Zeit einfach vom Wetter, der inneren Befindlichkeit, von Gelegenheiten und der Lust und Laune füllen zu lassen und nicht von Plänen und Erwartungen.
Wie kann man das in den Alltag retten?
Früher fiel es mir schwer, doch das Loslassen von ständiger Zielorientierung ist ungemein befreiend. Nur, wie nimmt man das in den Arbeitsalltag mit?
- Pausen einplanen: Schaffen Sie sich spontan Zeitfenster, um ganz bewusst nichts zu tun. In der Kaffeepause mal eben nicht das Handy checken oder eben mal kein Schwätzchen halten. Sich bewusst zurück ziehen vom äußeren Geschehen und tatsächlich nur den Kaffee wahrnehmen. Hier und jetzt. Wie warm er ist, wie er duftet, was für ein Gefühl sich im Körper ausbreitet. Das ist echte Auszeit.
- Achtsamkeit üben: Erleben Sie Momente bewusst, ohne sie zu bewerten. Versuchen Sie öfter mal Situationen bewusst nicht zu beurteilen nach „das ist gut“, „schlecht“, „schön“, „merkwürdig“, „wertvoll“, „unsinnig“ etc. Vielleicht hilft es Ihnen, sich bildlich vorzustellen, wie sie ein Klebeetikett von der grade erlebten Situation abziehen und nur feststellen: Diese Situation hat kein „Preisschild“. Sie ist nur da, ich nehme sie wahr und erlaube mir, grade keine Meinung darüber zu haben.
- Starre Ziele loslassen: Lassen Sie Dinge auf sich zukommen. Wenn etwas im Arbeitsalltag nicht klappt, wie geplant, ärgern Sie sich nicht und überlegen Sie nicht gleich krampfhaft oder hektisch wie sie jetzt, sofort eingreifen könnten. Betrachten Sie lieber öfter mal mit Neugier und Offenheit, was stattdessen passiert und lassen Sie sich überraschen, ob darin vielleicht sogar die Chance auf ein besseres Ergebnis liegt, als zuerst gedacht?
- Dem Fluss vertrauen: Akzeptieren Sie, dass sich nicht alles sofort erledigen muss. Natürlich: Aufgaben erledigen, von denen Arbeitsflüsse abhängen ist eine Sache des Respekts gegenüber allen Kollegen. Aber vieles lässt sich einfach nicht planen oder vorhersehen. Wenn Sie zum Beispiel die Antwort auf eine mehrmals abgesendete Nachricht immer noch nicht erhalten haben, tut es gut, sich ganz gelassen bewusst zu machen: Ich habe meinen Teil beigetragen, aber die Antwort kommt, wenn die Zeit reif ist.
- Rituale schaffen: Schenken Sie sich die Zeit für nicht-zielgerichtete Rituale wie Spaziergänge, Meditationspausen oder Wahrnehmungs- und Atemübungen, anstatt den Kopf 24/7 in der Planung oder Lösungsfindung schwirren zu lassen. Verbinden Sie z.B. eine Wahrnehmungsübung immer mit dem Kaffee-Trinken: Wie viele blaue/rote/hohe/niedrige Dinge sehe ich in meiner Umgebung grade? Gewöhnen Sie sich eine Atemübung immer beim Gang zum Bus an (5 Schritte Einatmen, 2 Atem anhalten, 5 Schritte Ausatmen, 2 Anhalten etc.). Oder drei bewusste Atemzüge, die Sie mit einem Lächeln verbinden, bevor Sie den nächsten Arbeitsschritt beginnen.
Fazit: Die Kraft des Nichtstuns
Wu Wei, bewusst nicht eingreifend oder auf ein Ziel ausgerichtet zu sein, hilft uns, ein ausgeglichenes Leben zu führen. Die achtsame Balance zwischen Tun und Nichtstun bringt uns in Einklang mit uns selbst und schenkt die Freiheit, viel häufiger einfach nur zu sein. Im besten Falle auch nach dem Urlaub!
Ich wünsche Ihnen einen guten und achtsamen Start in den Arbeitsalltag!